Montag, 29. Mai 2017

Alfred Rasser zum Gedenken: Kabarettist und Schauspieler, Künstler und Politiker


Kabarettist und Schauspieler, Künstler und Politiker
Er war Querkopf und Volksschauspieler, war Brandstifter und Biedermann in einer Person. Und er war hemmungslos sich selbst. Alfred Rasser versammelte die Schweizer scharenweise in ausverkauften Sälen und machte sich kompromisslos mit politischen Aktivitäten unbeliebt. Am 29. Mai vor 110 Jahren.
Er war Querkopf und Volksschauspieler, war Brandstifter und Biedermann in einer Person. Und er war hemmungslos sich selbst. Alfred Rasser versammelte die Schweizer scharenweise in ausverkauften Sälen und machte sich kompromisslos mit politischen Aktivitäten unbeliebt. Am 29. Mai vor 100 Jahren wurde er in Basel geboren. Heute regt er keinen mehr auf. Seine schönsten Figuren aber sind unvergessen geblieben. Eine davon war in seinen frühen Kabarettistenjahren ganz besonders erfolgreich: das Finälä vo Häsige, eine Elsässer Gemüsefrau, die von den Kriegsleiden in ihrer Heimat erzählt. Das kam nicht von ungefähr. Trotz seinem charakteristischen Basler Dialekt war Rasser ein Waggis. Sein Vater, ein Maurer, kam aus dem elsässischen Sirenz. Und wenn er auch ebenso musikliebend wie kauzig war, seinen Sohn Alfred erzog er zum strammen Katholiken, keineswegs aber zum Komödianten.
Der Ruf ans «Cornichon»
Nicht Theaterzettel, sondern Frachtbriefe bestimmen denn auch Rassers Start ins Leben. Drei Jahre Lehre in einer Speditionsfirma, darauf zwei weitere gleichenorts als Angestellter: ein dröges Début für einen jungen Mann mit hochfliegenden Vorstellungen. Dann aber der Lichtblick: Oskar Wälterlin eröffnet im Basler Konservatorium eine Schauspielschule. Alfred Rasser bekommt ein kleines Stipendium. Den Buchhalterjob allerdings wird er vorerst nicht los. Um endlich Geld zu machen, eröffnet er zusammen mit einem Kollegen ein Malergeschäft. Das überdauert fünf Jahre, hat aber zumindest zwei gute Seiten. Über den Gartenhag hinweg lernt er seine erste Frau, Adele, kennen, die schon bald Sohn Roland zur Welt bringt. Und eines Tages steht C. F. Vaucher in der Werkstatt, um Rasser für das Stück «John D. erobert die Welt» von Friedrich Wolf zu engagieren. Der risikofreudige Jungregisseur wird in der Folge ein verlässlicher Freund und der engste Mitarbeiter bei vielen Kabarettproduktionen.
Zum soliden Überlebensmittel allerdings gerät das Engagement nicht. «Ich dachte schon», so erinnerte sich Rasser später, «dass ich mich fürs Leben im Malergeschäft vergraben müsse.» Der Retter in der Not hiess Naoul Mithnik, ein alter Exilrusse, von Beruf Theateragent und Schnapshändler. Der gründet das Kabarett Resslirytti. Und schon im Eröffnungsprogramm setzt Alfred Rasser einen Meilenstein: Zum ersten Mal spielt er den vom «braven Soldaten Schwejk» inspirierten Läppli. Presse und Publikum sind begeistert, Berufskollegen werden aufmerksam. Aus Zürich meldete sich umgehend das «Cornichon». Es besteht zwar erst seit einem Jahr, geniesst aber bereits hohe Reputation. Am 16. September 1935 fand die Basler Premiere statt. Am 8. November steht Rasser bereits auf der legendären «Hirschen»-Bühne. In der satirischen Robinsonade «Hupa Haua» verkörpert er das Naheliegendste: einen Basler eben.
Populäre Stars wie Emil Hegetschweiler, Zarli Carigiet, Elsie Attenhofer, Heinrich Gretler, Max Werner Lenz, bald auch Voli Geiler, Margrit Rainer und Trudi Schoop sind jetzt die Partner des früheren Speditionsspezialisten. Dazu kommen Musiker wie Tibor Kasics, Werner Kruse oder Arthur Honegger und unter den Bühnenbildnern etwa Hans Fischer, Alois Carigiet oder Lindi. Rasser steht ihnen in nichts nach, gewinnt an Profil und Renommee. Bald schreibt er auch eigene Texte, unter anderen den «Wagges» mit dem Ohrwurm-Refrain «Gang schass mer der Giggel zum Jardin n'üs, er frisst mer alle Legümes».
HD Läppli macht Karriere
Fünf Jahre und zwanzig Programme lang dauert das «Cornichon»-Experiment. Dann drängt es den Individualisten auf neue Wege, privat wie beruflich. Im Herbst 1943 wird er in Basel sein eigener Herr, eröffnet das Kabarett Kaktus. Zwecks Finanzierung wirkt er zuvor in unterschiedlichsten Bühnenproduktionen mit. Und er bringt, als Bearbeiter, Regisseur und Hauptdarsteller zugleich, einen vielgerühmten «Basler Pygmalion» heraus. Der Kaktus blüht bis 1951, mitbetreut und beraten nicht zuletzt vom Freund C. F. Vaucher und von Ninette, Rassers zweiter Ehefrau. Er zeitigt höchst unterschiedliche Früchte, neben traditionellen Nummernprogrammen auch immer wieder Theaterstücke. Eine Figur insbesondere bekommt jetzt abendfüllendes Profil: der liebenswert-naive Theophil Läppli aus Buckten. Als HD zieht Läppli ins Militär, wird Weltbürger und Demokrat, in einer Musicalversion Millionär und schliesslich, als Antwort auf das rote Büchlein von Bundesrat von Moos, auch noch Zivilverteidiger.
Kaum ein Deutschschweizer, der in jenen Jahren den Läppli nicht kennt, der ihn nicht irgendwann gesehen, im Radio oder auf Schallplatte gehört hat. Die naiv-handfeste Figur, hinter der ihr Erfinder kaum merkbar und doch deutlich mit dem Auge zwinkert, wird zum Markenzeichen. Aber nicht nur sie begründet Rassers besondere Popularität. Da gibt es auch das Schwämmlimännli, den Marronibrater, die Elsässer Marktfrau Finälä und den Professor Cekadete. Allein für den Satz «Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern auch vom Znüni» gebührt dem skurril-senilen Altakademiker ein Sonderplatz im Kabarettistenhimmel.
1959 schafft es der HD Läppli ins Kino (der komplizierte Weg dahin wäre eine kleine Abhandlung wert). Er ist so erfolgreich, dass ihm bald auch der Demokrat Läppli folgt. Rassers Leinwandkarriere allerdings begann schon zwei Jahrzehnte zuvor. In über zwanzig Filmen und Fernsehspielen war er präsent, oft in kleineren, aber prägnanten Charakterrollen. Seine schönste künstlerische Kinoleistung erbrachte er bereits 1940. Unter Leopold Lindtberg war er der Viggi Störteler in «Die missbrauchten Liebesbriefe». Und der Kleinstadtkaufmann mit dem kreativen Sinn für blumig gedrechselte Literatur gelang ihm so überzeugend, als hätte Gottfried Keller schon beim Schreiben seiner Novelle an ihn gedacht.
Rasser geht nach Bern
In seinen besten Zeiten ist Rasser eine nationale Grösse. Die betont linke Gesinnung missfällt manchen. Mit der Neonazi-Nummer «Sieg Heil» verärgert er nicht nur Deutsche. Im «Kaktus»- Lied «Ich habe mich ergeben» bekommt auch die ehrbare NZZ ihr Fett ab. Und als Rasser 1954 nach China reist, verspielt er selbst bei manchen alten Freunden seinen Bonus. Unvermittelt werden darauf Verträge annulliert, im Radio sagt man eine fest eingeplante Unterhaltungsreihe gar nach der ersten Folge ab. Existenzielle Krisen bleiben nicht aus. Und es entsteht ein Überlebensplan: Im veritablen Notfall will der Geächtete im benachbarten St-Louis das Kabarett «Rasser im Exil» eröffnen.
Doch wer einen Läppli erfinden kann, der geht nicht unter. Im Gegenteil, Alfred Rasser geht nach Bern. Im Jahr 1967 lässt sich der linke Kämpfer für das Rechte, wie er einmal genannt wurde, vom Aargauer Landesring auf die Kandidatenliste für den Nationalrat setzen - und wird gewählt. Auch als Politiker schafft er sich nicht nur Freunde, weder in den Gremien noch bei der Presse. Aber er hält durch, schafft nach vier Jahren sogar die Wiederwahl. Daneben jedoch bleibt Alfred Rasser jederzeit Kabarettist: kreativ, unermüdlich und scheinbar unverwüstlich.
Kurz vor seinem 70. Geburtstag im Mai 1977 muss sich Alfred Rasser einen Gehirntumor entfernen lassen. Und am 18. August stirbt er. Zu seinem letzten Geburtstag schrieb Walter Roderer: «Vor dreissig Jahren habe ich von Alfred Rasser gelernt, was Präsenz, Präzision und Pointenaufbau ist.» Auf Schallplatte haben sich ein paar seiner Paradenummern erhalten. Sie erheitern wie einst. Und das Wiedersehen mit Läppli in den Filmen, mit seiner Bauernschläue, seinem Witz und soliden Sentiment, animiert noch immer zu spontaner Subversion.

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